Kommentar
Die Schweiz befindet sich mitten in der grössten Energiekrise seit Jahrzehnten. Nun verliert das Land ausgerechnet jene Bundesrätin, die im Krisenmanagement die Fäden in den Händen hält.
David Vonplon
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Es war wohl einer der schwierigsten Auftritte in der langen Politkarriere von Simonetta Sommaruga: die Bekanntgabe ihres Rücktritts, weil ihr Ehemann, der Schriftsteller Lukas Hartmann, vor kurzem einen Schlaganfall erlitten hat. Nur ganz kurz am Anfang zitterte die Stimme. Danach fasste sich die Berner Magistratin wieder: Gewohnt souverän zählte sie den Journalisten die Meilensteine ihrer Bundesratszeit auf, ohne Persönliches preiszugeben.
Keine Frage: Mit Simonetta Sommaruga geht eines der talentiertesten Mitglieder der Landesregierung; eine politische Strategin, die sich in ihren zwölf Jahren Amtszeit auch nicht von Niederlagen von ihrem Weg abbringen liess. Und eine, die stets wusste, wie schmal in der Politik der Grat sein kann zwischen Erfolg und Absturz. Vielleicht ging Sommaruga deshalb häufig so behutsam vor, bereitete jeden ihrer Schritte akribisch vor und lotete Seilschaften im bürgerlichen Lager aus, um ihren Vorlagen zum Durchbruch zu verhelfen.
So nachvollziehbar der Rücktritt von Sommaruga ist, er kommt zu einem unglücklichen Zeitpunkt. Die Schweiz befindet sich mitten in der grössten Energiekrise seit Jahrzehnten. Nun verliert sie jene Bundesrätin, die in der Krisenbewältigung die Fäden in den Händen hält und in fast allen Belangen den Takt vorgibt.
Als oberste Krisenmanagerin bestach Sommaruga von Anfang an durch ihre Entschlossenheit. Als andere noch schliefen, leitete sie frühzeitig Massnahmen ein, um zu verhindern, dass die Schweiz in diesem Winter plötzlich im Dunkeln sitzt. Gleichzeitig boxte sie praktisch im Alleingang einen Rettungsschirm für die grossen Energieversorger durch. Dass sie mit ihrem Krisendispositiv richtig lag, bescheinigte ihr just am Tag des Rücktritts eine Studie der Aufsichtsbehörden.
Die Energiekrise gelöst hat Sommaruga damit freilich noch nicht. Denn die grössten Herausforderungen kommen erst in den nächsten Jahren auf die Schweiz zu. Sommaruga ist allerdings zu attestieren, dass sie die gröbsten Fehler ihrer Vorgängerin Doris Leuthard aller Voraussicht nach korrigieren kann. So brachte sie ihre wichtigste Vorlage, den Mantelerlass über eine sichere Stromversorgung, im September ohne Gegenstimme durch den Ständerat. Stimmt diesem auch der Nationalrat zu, werden endlich die grössten Hürden für den Ausbau der Stromproduktion im Inland aus dem Weg geräumt. Das Risiko einer Mangellage wird damit verringert, aber nicht beseitigt.
Die jüngsten Erfolge in der Energiepolitik rücken Sommarugas Fehlstart als Vorsteherin des Infrastruktur-Departements etwas in den Hintergrund. Nicht weniger als drei Abstimmungen in Folge verlor die SP-Bundesrätin; bereits wollten Politbeobachter bei der Bundesrätin eine gewisse Amtsmüdigkeit erkennen. Doch die Kritiker unterschätzten Sommarugas Beharrlichkeit – und ihre Fähigkeit, Menschen zu überzeugen, selbst wenn sie politisch anders ticken.
Mit dem runden Tisch zur Wasserkraft gelang Sommaruga ein Durchbruch, indem sie Umweltverbände, Energiebranche und Kantone dazu brachte, der Blockadepolitik abzuschwören. Das Parlament goss die anfangs unverbindliche Vereinbarung mittlerweile in ein Gesetz. In der Klimapolitik wiederum zeigte sich Sommaruga nach dem Absturz ihres CO2-Gesetzes an der Urne bereit, grünen Klima-Phantasien abzusagen und ein Schmalspurpaket zu schnüren, das auch im bürgerlichen Lager mehrheitsfähig sein dürfte.
Simonetta Sommaruga will nun, nach dem Schlaganfall ihres Mannes, die Prioritäten in ihrem Leben anders setzen. Das ist verständlich. Für ihren Nachfolger oder ihre Nachfolgerin jedoch bleibt die Aufgabe die gleiche: eine der schwersten Krisen für die Schweiz seit Jahrzehnten zu meistern.
67 Kommentare
Werner Moser
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Na ja, es stimmt, dass die Schweiz sich mitten in der grössten Energie -Krise seit Jahrzehnten befindet. Wofür auch diese Bundesrätin sehr prägend mitverantwortlich ist. So unglücklich und schicksalbehaftet der Grund dieses Rücktritts ist, ist es doch erstaunlich, wenn hier nun festgestellt wird, dass dieser Rücktritt zur Unzeit erfolgt. Denn es ist nicht zuletzt Dank ihrer kompromisslosen Mithilfe, dass sich die grünen Flatter - Energie-Quellen Sonne und Luft, und die Wasser-, Atom- und Gas-Kraft, gegenseitig derart blockierten, dass sich die Importabhängigkeiten, gerade im Bereich Strom (inklusive vergaster Strom aus Deutschland), derart entwickeln konnten, dass wir uns heute mit der Möglichkeit einer höchst delikaten Energiemangellage herumschlagen müssen. Dass nun ausgerechnet jenes Mitglied des Bundesrats schicksalhaft verloren geht, das für das Energiekrisen-Managment die Fäden in Händen hält, kann darum auch eine Chance sein, diese Energie-Probleme weniger ideologisiert anzugehen. Was bedeuten kann, dass besagte "Unzeit" möglicherweise keine Unzeit sein wird. Eine Chance nur, aber immerhin!
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Kurt Weiss
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Es stimmt: das 2017 verabschiedete Energiegesetz und die utopische Energiestrategie des Bundes hatte Frau Sommaruga noch von ihrer Vorgängerin geerbt. Sie hat mit ihrer Partei die Strategie jedoch immer voll unterstützt und kann sich einer Verantwortung für die fehlgeschlagene Politik und für die sich nun abzeichnenden Strommangellagen nicht entziehen.Spätestens im Jahr 2020 hätten Sommaruga und das ihr unterstellte Bundesamt für Energie, Alarm schlagen und handeln müssen. Schon damals war sichtbar, dass der im Energiegesetz vorgegebene Richtwert zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (mindestens 4'400 GWh ohne Wasserkraft) weit verfehlt wurde. Vor diesem Hintergrund fällt der redaktionelle Kommentar über Sommarugas Wirken allzu positiv aus. Die alte Weisheit gilt nach wie vor: "Niemand ist so schlecht wie sein Ruf - und niemand so gut wie sein Nachruf".
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